Kurzinfo zu Kolb und dem Projekt
Ernst Kolb (1927-1993), ein stadtbekanntes Mannheimer Original, begann im Alter von etwa 40 Jahren mit dem Zeichnen, erst mit Ende 50 hatte er eine erste Ausstellung in einer Galerie. Danach waren ihm nur wenige Ausstellungen vergönnt. Über den in Privatangelegenheiten wortkargen Mann ist nur wenig bekannt und viele Menschen mieden seinerzeit den Kontakt zu ihm. Andere wiederum schmückten sich, wegen seines Bekanntheitsgrades, mit seiner Gesellschaft. Erst nach seinem Tod ließ sich in Erfahrung bringen, dass seine Mutter in der süddeutschen Nervenheilanstalt Grafeneck als eine der ersten dem nationalsozialistischen "Euthanasieprogramm", dem "Kampf gegen unwertes Leben“, zum Opfer fiel. Seine Schwester, die an schwerer Schizophrenie litt, starb 1974 in der Nervenklinik Wiesloch.
Nur durch einen Zufall ist ein ganzes Konvolut an Kugelschreiberzeichnungen von Ernst Kolb erhalten geblieben. Gerhard Kehl ist es gelungen, knapp 200 davon zusammenzutragen. Teilweise sehr akribisch hat Kolb, oft auf der Rückseite von Werbezetteln oder ausgedienten Speisekarten, seine figürlichen Darstellungen variantenreich schraffiert und streng darauf geachtet, dass nie eine Linie über den Blattrand hinausgeht. Oft folgt hier die Anatomie den Zwängen des Papierformats.
So sind mit traumwandlerischer Sicherheit perfekte Kompositionen entstanden, die unverwechselbar die Handschrift des gelernten Bäckers Ernst Kolb tragen. Diese spontanen Zeichnungen bilden die Ausgangsbasis für Kehls neues Ausstellungsprojekt.
In den letzten Jahren hat Kehl Gemälde und Holzskulpturen geschaffen, in denen er Kolbs Motive aufgreift, interpretiert und zu seinen eigenen Werken macht - ganz in der Tradition von z.B. Picasso oder Dubuffet, die ihrerseits durch Adaptionen von so genannter „primitiver“ oder „verrückter“ Kunst das Verständnis der Moderne maßgeblich geprägt haben. Der wesentliche Unterschied zu ihnen besteht jedoch darin, dass Gerhard Kehl auf einen einzigen, konkreten Künstler eingeht, dessen Werk gleichzeitig und gleichwertig präsentiert wird. Dies stellt nicht nur eine postume Ehrung Ernst Kolbs dar, sondern Kehl hinterfragt damit auch gezielt die klassische Auffassung von Urheberschaft.
Bereits seit Jahren arbeitet Gerhard Kehl mit Schnitzern und Drechslern aus dem Erzgebirge zusammen. Sie fertigen nach seinen Entwürfen Objekte aus Holz, die er daraufhin selbst von Hand bemalt. An dieser Stelle schließt sich ein Kreis, da auch diese Anlehnung an die „Volkskunst“, so der Titel einer seiner vorhergehenden Ausstellungen, bewusst die Grenze zwischen „hoher“ und „trivialer“ Kunst verwischt. Auch hier ist die respektvolle Einbeziehung des Könnens und der Traditionen von Dritten ein wesentlicher Bestandteil, den Kehl als eine große Bereicherung empfindet. Die Zusammenarbeit mit dem Schnitzer Michael Ost, der als Einziger mit den Holzarbeiten zum Erst-Kolb-Projekt betraut war, hat sich als besonders fruchtbar erwiesen. Die sich aufdrängenden Fragen nach künstlerischer Originalität und kultureller Identität sind erwünscht. Inspiriert von Kolbs Zeichnungen, liegt Gerhard Kehl daran, diesen Aspekten auf den Grund zu gehen.
Zur Ausstellungseröffnung im Haus am Lützowplatz am Donnerstag, am 04. Oktober 2012, präsentierte der Vokalkünstler Christian Wolz live das eigens für diesen Anlass komponierte 13-minütige Stimm- und Klangkunstwerk "einunddreißig bis 57". Wolz adaptiert hierin unter anderem die Eigenart Kolbs, jede dritte Zeile seiner Tagebücher mit Nummern zu versehen, selbst dann, wenn dadurch die Zahl mitten in einem getrennten Wort erscheinen sollte.
Von Februar bis Juni 2018 ehrt das Museum „Collection de l‘art brut“ in Lausanne Ernst Kolb mit einer Einzelausstellung (Katalog).